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"Teile der Wissenschaft haben sich mit der Politik gemein gemacht
Von Ulf Poschardt

In mehreren Wellen haben sich Teile der Wissenschaft mit der Politik gemein gemacht, und was bei manchen Klimaforschern noch nach wüstem, auch rebellischem Aktivismus aussah, ist in der Corona-Pandemie zu einem viel zu oft undurchsichtigen Durch- und Miteinander von Politik und Wissenschaft geworden. Die Entgrenzung geschah von beiden Seiten.
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So wie es außer den radikalen Rändern links und rechts immer weniger echte Opposition zur freiheitsskeptischen bis -feindlichen Corona-Politik gibt – Rainer Hank nannte es in der „FAZ“ ein „Allparteienkartell“ –, ist nun auch die wissenschaftliche Debatte ein Denunziations- und Ausgrenzungswettbewerb geworden. Forscher wie Christian Drosten können Kollegen wie Hendrik Streeck öffentlich vorführen und werden von Journalisten dazu in Interviews geradezu aufgefordert.

Die Krise zentralisiert und verwaltet Macht und Autorität hierarchischer denn je. Der Föderalismus droht eingefangen zu werden, und mit Krisen- und Beraterstäben wird eine Uniformierung von Macht und Wissen vorangetrieben. Aktivistische Wissenschaftler:innen wie Melanie Brinkmann, die immer wieder für mehr und schärfere Lockdowns eintrat, werden von Medien hofiert, deren Leitartikler sich in Teilen gewissermaßen ehrenamtlich zum Teil der Krisenstäbe machen.

Es ist ein großer, etatistischer Brei, in dem sich eine große Mehrheit wohl jenseits der zwei Drittel (oder gar drei Viertel) der Gesellschaft wohlfühlt. Wie der Bundespräsident in Bellevue Leute wie Christian Drosten gemeinsam mit schicken Wissenschaftsjournalist:innen und Kulturklimaaktivisten mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnet, ist von einer symbolischen Überklarheit, die nur deshalb nicht medial oder von kritischen Intellektuellen (wo sind sie?) kritisiert wird, weil sie alle gerne mit dabei wären.
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Heute singen Politik und Wissenschaft in Talkshows und auf Podien ein Duett oder tanzen ein Pas de Deux zur Durchsetzung immer wieder neuer Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte. Der Ethikrat modifiziert seine Empfehlungen zur Impfpflicht so, wie es der Politik entgegenkommt. Die letzten Restbestände der bürgerlichen Mitte machen sich Sorgen um ein Land, in dem die Bürgerrechte bisweilen aufgrund der Interpretationen von Wissenschaftlern taxiert zu werden scheinen. Es ist eine breit umjubelte Überdehnung der Kompetenzen der Wissenschaft (nicht jeder und aller logischerweise).
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Michel Foucault hat in „Überwachen und Strafen“ beschrieben, wie eine Extremsituation wie die Pestseuche Ende des 17. Jahrhunderts die Disziplinargesellschaft und die Biopolitik veränderte. Zuerst als Reaktion auf die Seuche, dann als eine Transformation, die geblieben ist. Die Seuche war die Geburt und das In-Kraft-Setzen neuer Machtverhältnisse von Politik und Wissen.

„Auf die Pest antwortet die Ordnung, die alle Verwirrungen zu entwirren hat: die Verwirrungen der Krankheit, welche sich überträgt, wenn sich die Körper mischen, und sich vervielfältigt, wenn Furcht und Tod die Verbote auslöschen. Die Ordnung schreibt jedem seinen Platz, ... jedem sein Gut vor: kraft einer allgegenwärtigen und allwissenden Macht, die sich einheitlich bis zur letzten Bestimmung des Individuums verzweigt – bis zur Bestimmung dessen, was das Individuum charakterisiert, was ihm gehört, was ihm geschieht. Gegen die Pest, die Vermischung ist, bringt die Disziplin ihre Macht, die Analyse ist, zur Geltung.“
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[...] Wissenschaft wird davon getragen, dass systematisch Fehler, Fehlannahmen und Fehleinschätzungen eliminiert werden – Hypothesen müssen falsifiziert werden. Wissenschaft, die untereinander nicht mehr streitet und auch sonst keine Kritik an sich duldet, verrät ihr eigenes Prinzip.
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