Der Schrei der Armen

Die Kirchen haben sich der Macht lange als Vertröstungsdienstleister zur Verfügung gestellt — es gibt jedoch eine starke Tradition politisch befreiender Theologie.

von Roland Rottenfußer

„An Gott glauben bedeutet, sich mit den Unterdrückten zu solidarisieren“, sagte der Befreiungstheologe Jan Sobrino aus El Salvador. Im Christentum haben Kapitalismuskritik und sozialistisch anmutende Konzepte eine lange Tradition, die bis auf die Evangelien selbst zurückgeht. Die Kirchen haben sich in der Geschichte oft auf die Seite der Reichen und Mächtigen geschlagen. Dennoch ist der Funke der Solidarität mit den sozial Schwachen nie ganz erloschen und flammte in der lateinamerikanischen „Befreiungstheologie“ des 20. Jahrhunderts wieder auf. Über theologische Spitzfindigkeit hinaus stellt uns diese jahrtausendealte Debatte eine bis heute relevante Frage: Sind Religionen dazu da, die Narrative der jeweiligen Obrigkeiten mit einem göttlichen Nimbus zu versehen? Sind sie Weltfluchthilfe und geistiges Sedativum, um diesseitiges Elend durch jenseitigen Trost zu verbrämen? Oder liegt ihre ureigene Aufgabe gerade darin, sich radikal auf die Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu stellen — mit der Autorität derer, die sich durch ihren Glauben ein Stück weit von weltlichen Ängsten und Rücksichtnahmen freigemacht haben?

Weiterlesen:
Guide on How to Download Instagram Videos Effortlessly