Der Staat sollte sich bei den Ungeimpften entschuldigen!

Die Berliner Zeitung hat eine offene Corona-Debatte angestossen. Im heutigen Artikel kommt Jessica Hamed zu Wort. Als Strafrechtlerin ist sie ständig mit Fragen des Verfassungsrechts befasst. Sie vertritt seit März 2020 bundesweit in verwaltungs- und strafrechtlichen „Corona-Verfahren“ und veröffentlicht ihre Schriftsätze.

Wir müssen analysieren, wie es dazu kommen konnte, dass führende Politiker und Politikerinnen sich hemmungslos autoritärer Vokabeln wie Zügelanziehen bedienten (Markus Söder), dass der für den Rechtsstaat fundamentale Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Disposition gestellt wurde (Winfried Kretschmann), dass selbst das Bundesverfassungsgericht bisherige verfassungsrechtliche Maßstäbe ignorierte und faktisch der Regierung in Krisenzeiten einen Persilschein für hemmungs- und grenzenlose Krisenpolitik ausstellte.

Wir müssen darüber sprechen, wie es möglich war, wesentliche Teile der Gesellschaft glauben zu machen, es sei solidarisch geboten oder gar ethisch tragbar, eine ganze Bevölkerungsgruppe verächtlich zu machen und aus der Gesellschaft zu drängen. Diese Diskriminierung war staatliches Unrecht. Aus den vielen juristischen Argumenten, die für diese Beurteilung sprechen, greife ich hier nur eines heraus: Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts umfasst das menschenwürdige Existenzminimum ein „Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“. Dagegen verstießen 2G-Regelungen frontal und konsequent.

Diese Ausgrenzung war und ist rechtlich, ethisch und gesellschaftlich zu missbilligen. Sie stellte für eine freiheitliche Demokratie ebenso einen Tabubruch dar wie der Lockdown. Dass es zudem nie eine „Pandemie der Ungeimpften“ gab, macht das gesellschaftliche Versagen noch tragischer, aber moralisch und juristisch nicht schlimmer. Es war Unrecht, so wie es immer Unrecht ist, Minderheiten zu stigmatisieren.

Was diese Aufarbeitung leisten muss, ist die Erkenntnis, dass auch in der Krise nicht alles erlaubt sein kann. Auch dann nicht, wenn sich über 90 Prozent der Bevölkerung – aus auch ganz bewusst erzeugter Angst – dafür ausspricht, alle rechtsstaatlichen Tabus in den Wind zu schreiben. Es gibt sie nämlich, die roten Linien. Andernfalls wäre der Rechtsstaat lediglich eine Illusion. Die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung muss daher institutionell beginnen. Jetzt.

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