In der akt. EMMA von Alice Schwarzer


‼️ Ukraine: Europas Fatale Rolle

" Europa, das einstige Friedensprojekt, ist im Krieg! Wer hätte sich das noch vor Kurzem vorstellen können? Selbst wenn noch kein Staat der Europäischen Union formal im ukrainisch-russischen Krieg Kriegspartei ist, dominiert das dortige Kriegsgeschehen die Berichterstattung, die Politik und die gesellschaftlichen Entwicklungen in ganz Europa seit Monaten. Ein aktives Eingreifen der EU-Staaten im Rahmen der NATO in den Krieg wird diskutiert, in Teilen sogar forciert. (...)

Peter Scholl-Latour, befragt zum ukrainischen Maidan 2014, sagte als ersten Satz: „Man hat gar nicht zur Kenntnis genommen, dass die Ukraine kein geeintes Land ist“, für das zu kämpfen und zu frieren – koste es, was es wolle – Europa heute aber aufgewiegelt wird?

„U-kraine“ heißt etymologisch so etwas wie „an der Grenze“. Die Krim war in der Geschichte immer entweder ottomanisch oder russisch. Kiew, eine der ältesten Städte Europas, gilt in Erzählungen als „Mutter der Rus“. Odessa wurde später zum kulturellen und religiösen Melting-Pot, wie die meisten europäischen Städte, sei es Prag, Triest oder Wien. Galizien, die Westukraine, also Lemberg, gehörte bis 1918 zum Habsburger Reich. (...)

Europa brüllt sich erschütternd kriegslüstern in einen Krieg hinein

Seit einem halben Jahr brüllt sich Europa erschütternd kriegslüstern und geschichtsvergessen in diesen Krieg hinein, der Russe ist wieder da, ganz als ob Europa auf einen Feind gewartet habe, um sich endlich zu einen. Kämpfen gilt wieder als chic, vor allem in den Mündern jener Politiker oder Journalisten, die ihre eigenen Kinder niemals in den Krieg schicken würden.

Es geht fast nur noch um den militärischen Sieg, es geht wieder um Imperialismus und Einflusszonen – amerikanische hier, russische dort: Europa müsse nun in Kiew verteidigt werden, so wie damals am Hindukusch, heißt es im Überschwang der politischen Erregung. (...)

Der ganze Wahnsinn der ahistorischen Betrachtungsweise dieses Krieges zeigt sich allein in der fast gebetsmühlenartigen Betonung des „russischen Angriffskrieges“ vom 24. Februar 2022. Als sei dieser Krieg punktgenau an diesem Tag plötzlich vom Himmel gefallen. Seit Februar wird den europäischen Fernsehzuschauern eingebläut, dass der aktuelle ukrainisch-russische Krieg, der im Herbst 2022 – zum kolossalen Schaden Europas – als Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland zu entgleisen droht, an diesem und erst an diesem Tag angefangen hat. Und dass es dafür nur einen Schuldigen gibt: Putin. Mit dem man nicht reden könne und der deswegen militärisch besiegt werden müsse.

Was treibt Europa in diese historische Selbstvergessenheit, seine Selbstschädigung gar? Verteidigt wird ein Nationalstaat, obgleich Europa die Überwindung des klassischen Nationalstaates sein sollte. (...)

Die immer engere Europäische Union fand bis heute, rund dreißig Jahre später, nicht statt. Ihre Umsetzung ist gescheitert. Die EU ist bestenfalls ein Phantom dieses geeinten Europas, wie Régis Debray es noch 2019 in einem fulminanten Essay beschrieben hat. Der augenblickliche Krieg in und um die Ukraine ist darum nicht nur ein weiterer blutiger Krieg. Er ist auch und vor allem die Zerstörung des politischen Europas als Idee!"

https://www.emma.de/artikel/europas-fatale-rolle-339955
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