Kolumne "Rechtsstaat", Demokratischer Widerstand, Ausgabe 100

Straße des 1. August
Am Montag, den 01.08.2022 fuhr ich morgens über die Straße des 17. Juni in Berlin. Im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren war ich nicht auf dem Weg zu einer Großdemo, ich fuhr zum Bahnhof, um meinen Zug nach München zu erwischen, wo ich Abends meinen 40. Geburtstag gefeiert habe.
Meine ursprüngliche Planung war, den 1. August wie in den Jahren zuvor auf einer Demo in Berlin zu verbringen. Letztlich habe ich aber den Entschluss gefasst, die „Jubiläumsdemo“ nicht zu besuchen, obwohl mich mit dem 1. August 2020 mehr verbindet als mit jedem anderen Tag. Jeder, der an diesem historischen Tag in Berlin war, weiß wovon ich rede.

Aber wir sollten uns nicht nur von unseren positiven Emotionen aus der Vergangenheit blenden lassen. Der Sinn einer Demonstration ist nicht, in Erinnerungen zu schwelgen und die Vergangenheit zu feiern. Demonstrationen müssen ein politisches Ziel in der Zukunft verfolgen. Die Zeit der zentralen Großdemos ist vorbei. Es waren nicht die Großdemos, welche die Impfpflicht verhindert haben. Es waren dezentrale labellose Montagsspaziergänge zeitgleich in tausenden Städten und Dörfern. Eine deutschlandweite Mobilisierung macht m. E. nur dann Sinn, wenn dies auf ein konkretes Ziel hin erfolgt, z. B. für den 09. September in Berlin, da der Bundestag in dieser Woche voraussichtlich eine weitere Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschließen wird.

Natürlich kann jeder demonstrieren, wann und wo er möchte. Es ist aber wenig zielführend, wenn man lediglich für einen Tag mobilisiert, mit dem man zwar positive Emotionen verbindet, der aber politisch auf die Vergangenheit gerichtet ist und nicht auf die Zukunft. Daher hoffe ich, dass auch am 09. September die Straßen von Berlin voll sind, wenn es zählt.

Unabhängig davon muss sich der Protest wandeln. Viele scheinen mit ihren Forderungen zu sehr in den Jahren 2020/2021 verhaftet zu sein. Im Moment kann man nicht ernsthaft von einer Diktatur in Deutschland reden und auch der Ton sollte ein anderer sein, damit man nicht nur sich selbst, sondern auch die 83 Millionen Menschen in unserem Land erreicht, die gerade nicht auf einer Demo sind. Eine verbale oder thematische Radikalisierung, die teils zu beobachten ist, hilft dabei nicht weiter.

Markus Haintz

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