Die Bundesregierung beklagt die Verrohung der Sitten im demokratischen Miteinander. Jetzt. Nicht als man in der Coronazeit die gesellschaftliche Ächtung und sogar Gefängnis für Ungeimpfte gefordert hat. Nicht als man die Polizei beauftragt hat, Menschen durch den Park zu jagen und auf Coronademos mit maximaler Härte vorzugehen. Sondern jetzt. Wo es mal Habeck trifft.

Um das klarzumachen: Eine Fähre gewaltsam zu stürmen, auf der ein Minister und seine Frau privat aus dem Urlaub kommen, ist nicht die richtige Form des Protestes.

Aber:

1. hat die Bundesregierung mit der Verrohung der Sitten begonnen und nicht die Bürger.

2. tragen die Bundesregierung und deren Parteien massiv dazu bei, jede parlamentarische Form des Widerstandes zu delegitimieren. Wer da mitmacht, ist ja immer gleich rechtsextrem und antidemokratisch. Viele würden die Opposition am liebsten direkt verbieten.

3. scheinen gerade Vertreter von SPD und Grünen wenig Probleme damit zu haben, wenn die Antifa Politiker im privaten Bereich belästigt und angreift. Eine Distanz zur Antifa ist jedenfalls nicht erkennbar.

4. was wäre, wenn da Alice Weidel auf der Fähre gewesen wäre und nicht Robert Habeck? Das Narrativ von Medien und Politik wäre dann wohl anders ausgefallen. Wir würden von couragierten Aktivsten lesen und nicht von einem wütenden Mob. Selbst als die Polizei sie wegen konkreter Anschlagspläne sehr kurzfristig aus ihrer Wohnung verbringen musste, fanden das ja viele, die sich jetzt aufregen, witzig.

Es darf jetzt aber nicht darum gehen, das eine Unrecht mit dem anderen aufzurechnen. Der Apell, einer Verrohung des Miteinanders entgegenzuwirken, ist ja richtig. Aber er muss dann eben wirklich für alle gelten. Den meisten, die sich derzeit aufregen, geht es in Wahrheit ja nur darum, dass sich solche Aktionen bitte gegen andere richten sollen.

Wer glaubwürdig einer Verrohung der Sitten entgegenwirken möchte, der muss das immer tun. Egal wen es betrifft. Und der darf nicht nur andere kritisieren, sondern muss auch Selbstkritik üben.
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