Wir leben im Moralgefängnis und müssen einen Weg zurück in die Freiheit finden“, so das Zwischenresultat von Dr. Michael Andrick bei seiner Buchvorstellung am Freitag, den 26. April 2024 im Leipziger Mückenschlösschen. Dort fand ein Vortrags- und Gesprächsabend des Vereins Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiStA) gemeinsam mit Andrick unter dem Titel „Gesellschaft und Rechtsstaat im Moralgefängnis?“ statt.
Unsere einst offene Gesellschaft habe sich bereits erschreckend geschlossen. Daher sei es eine dringliche Aufgabe insbesondere für Philosophen, dieses Diskurselend zu verstehen, berichtete Andrick von seiner Motivation zum Verfassen seines neu erschienenen Buches „Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden“.

Im Anschluss an die Buchvorstellung beleuchtete Daniel Deba, Richter am Verwaltungsgericht Schwerin und Sprecher von KRiStA, die Rolle des Rechts, dessen Aufgabe es gerade sei, Spaltung zu überwinden und Rechtsfrieden herzustellen.

Das Phänomen, aus Moral einen Absolutheitsanspruch zu machen, habe zur „Cancel Culture“ geführt, diagnostizierte Karin Hark, die als Vorstand von KRiStA die Gäste in dem bis auf den letzten Stuhl gefüllten Veranstaltungsraum begrüßte.

Am „Eingang zum Moralgefängnis“ zitierte Andrick ein Interview mit Juli Zeh, das beispielhaft aufzeige, worum es in der Tiefe seines Buches gehe. Im Jahr 2015 habe sie in einem Interview geäußert, dass die Bevölkerung rhetorisch völlig falsch auf die Flüchtlingskrise vorbereitet worden sei. Hieraus zog Andrick den Schluss, dass kein Bedarf an politischer Diskussion gesehen werde, sondern es vielmehr um die Erziehung der Leute gehe. Es herrsche bei vielen Themen eine Stimmung vor, bei der jedes Wort vorsichtig abgewogen werde. Eine bestimmte Haltung werde als gut und richtig angesehen. In das öffentliche Gespräch würden „Angstleitplanken“ eingezogen. „Ohne streitfreudige Gesprächskultur kann es keine Demokratie geben“, resümierte er. Andrick führt dies darauf zurück, dass unsere ganze Kultur mit dem „Virus der Moralisierung“ infiziert sei. Deutschland sei „Moralin- Seuchengebiet“. Die Moralisierung als spalterische Handlung führe in der Kommunikation dazu, dass sowohl der Fokus als auch der Modus einer Diskussion verändert werde. Der Fokus ändere sich von einer Sache zu einer Person und der Modus von einer Anfrage zu einer Anklage. „Emotional erleben wir Moralisierung einer bisher sachbezogenen Diskussion wie einen plötzlichen Ortswechsel aus gemäßigten Breiten in große Kälte oder Hitze. In diesen neuen Gefilden, so spüren wir, gelten andere Spielregeln als vor der Moralin-Injektion; es geht schlagartig und dramatisch um mich, nicht mehr um etwas, das sich in sicherer Entfernung außerhalb befindet“, las er aus seinem Werk vor. Mit dem Buch wolle er erreichen, dass das Ganze noch umgedreht werden könne. Dies sei für unser Land dramatisch wichtig. „Der Unmündigkeitsgeist ist schon tief, tief eingesickert.“

Aus der Perspektive eines Richters betonte Deba im Anschluss: „Die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten und vornehmsten Rechte.“ Für den Rechtsstaat sei eine Balance der Gerichte zwischen gesetzgeberhörigem Werkzeug und kreativem Rechtsanwender wichtig. Das Bundesverfassungsgericht habe auf der einen Seite in seiner Corona-Rechtsprechung dem Gesetzgeber einen maximalen Entscheidungsspielraum zugebilligt. Auf der anderen Seite habe es in seiner Entscheidung bezüglich der Klimagesetzgebung die Seite der kreativen Rechtsanwendung betreten. Diese Extrempole seien gerade keine Balance, sondern gefährlich für den Rechtsstaat. „Unsere Aufgabe ist es, mit abstrakten Gesetzen die richtige Lösung zu finden, aber nicht zu erfinden.“ Deba äußerte die Hoffnung, dass dies weiterhin möglich sei, wenn sachlich und ordentlich mit dem bestehenden Recht gearbeitet werde.

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